Bislang hat der ACE2-Rezeptorer nur Pharmakologen und Kardiologen interessiert, aber jetzt ist er als Eintrittspforte für das neue Corona-Virus in aller Munde. Und ACE-Hemmer sollen auch irgendwie schaden, oder doch nicht? Vielleicht geht es ja dem einen oder anderen Nichtbiologen wie mir: Immer, wenn ich versuche das blutdruckregulierende Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) zu verstehen, tauchen wieder zwei ähnlich klingende Begriffe mit „A“ auf, die ich nicht auseinanderhalten kann. Deshalb habe ich das mal etwas sortiert und eine junge Zeichnerin hat es in Szene gesetzt. Man kann sich das vorstellen wie eine verworrene Soap Opera mit vielen Protagonisten und verzweigten Handlungssträngen, die man unmöglich alle gleichzeitig erzählen kann. Hier ist deshalb nur der Strang herausgegriffen, den man für das Verständnis der ACE-Hemmer-fördern-Covid-19-Hypothese braucht.
Alles beginnt in der Niere. Wenn der Körper meint, er müsse den Blutdruck erhöhen, wird dort eine Substanz namens Renin freigesetzt. Dieses Enzyme spaltet inaktives Angiotensinogen, (welches im Übrigen in der Leber produziert wird aber das nur am Rande) in das Hormon Angiotensin I, welches in dieser Geschichte eine Hauptrolle spielt (1).
Angiotensin I ist ein friedlicher Geselle und führt zunächst nichts Böses im Schilde. Es hat jedoch eine Schwäche: Es wird es magisch angezogen von einem Molekül namens Angiotensin-konvertierendes Enzym (englisch: agiotensin converting enzym, ACE). Der Name sagt schon, dass dieses Enzym unser freundliches Angiotensin I verwandeln kann, leider nicht zum Guten. Das ACE sitzt in der Außenwand von Zellen verschiedener Gewebe. Angiotensin I passt mit ihm zusammen wie Schlüssel und Schloss. Haben sich die beiden gefunden, spaltets ACE flugs zwei Aminosäuren von den insgesamt zehn des Angiotensin I ab. (2)
Das so entstandene Hormon mit acht Aminosäuren heißt Angiotensin II und ist der Bösewicht in dieser Geschichte (3). Es hat nichts anderes im Sinn, als den Blutdruck in schwindelnde Höhen zu treiben, Entzündungen zu fördern, das Herz zu schwächen und die Nieren zu schädigen. Aber es hat h einen Gegenspieler: Das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2).
Gelangt Angiotensin II in die Fänge des ACE2-Rezeptors, ist es vorbei mit der Übeltäterei. Aus dem unangenehmen Angiotensin II wird harmloses Angiotensin 1-7 (Gesprochen: Angiotensin eins bis sieben. Das könnte jetzt auch Angiontensin III heißen, aber die Biologen haben es lieber Angiotensin 1-7 genannt, weil es noch die Aminosäuren 1 bis 7 enthält). Diese Substanz gehört zu den Good Guys der Story, denn es schützt Herz und Gefäße. (4)
Nun wieder zurück zum Angiotensin II. Seine gefährliche Mission kann es nur erfüllen, wenn es an sein Ziel gelangt, den AT1–Rezeptor. Achtung an alle Nichtbiologen, es besteht Verwechslungsgefahr! Dieser Rezeptor hat nichts mit Angiotensin I zu tun, sein voller Name lautet „Angiotensin-II-Rezeptor Subtyp 1“ (wie man sich denken kann, gibt es auch noch einen Subtyp 2, der soll hier aber keine Rolle spielen). Bindet Angiotensin II an den AT1 -Rezeptor, nimmt das Unheil seinen Lauf. Der AT1-Rezeptor leitet die schädlichen Signale weiter. Es folgt ein weiter Handlungsstrang an dessen Ende sich die Gefäße zusammenziehen und der Blutdruck steigt. (5)
Die Pharmakologen lassen das Angiotensin II aber nicht einfach so davonkommen. Sie haben Wege gefunden, es herunter zu regulieren, um den Blutdruck zu senken und den Schaden von Angiotensin II zu begrenzen. Da sind zunächst die ACE-Hemmer, kleine künstlich hergestellte Moleküle, die genau an die Bindungsstelle des ACE-Rezeptors passen und diese blockieren. Angiotensin I kann dann nicht mehr umgewandelt werden, es entsteht weniger böses Angiotensin II. (6)
Man muss jetzt nicht Biochemie studiert haben, um sich denken zu können, dass es noch einen weiteren Weg gibt, Angiotensin II an der Erfüllung seiner Schurkenmission zu hindern. Genau, den AT1-Rezeptor außer Gefecht setzen. Hierfür gibt es ebenfalls eine chemische Substanzklasse, die AT1-Antagonisten, abgekürzt ARB. Nun wieder aufgemerkt, Wikipedia verzeichnet für diese Wirkstoffklasse fünf (!) weitere Synonyme, welche den biochemischen Laien zur Verzweiflung bringen: Angiotensin-II-Rezeptor-Subtyp-1-Antagonisten, AT1-Rezeptorantagonisten, AT1-Blocker, AT1-Rezeptorblocker, Angiotensin 1-Rezeptorblocker. In der Apotheke heißt diese Wirkstoffklasse „Sartane“, das kann man sich gut merken. (7)
Nun gibt es einen interessanten Effekt und damit kommen wir wieder zu unserem neuartigen Corona-Virus. Es wurde beobachtet, dass das ACE2 Enzym vermehrt produziert wird, wenn Patienten ACE-Hemmer einnehmen, zuletzt zeigte das eine brandaktuelle Arbeit aus dem DZHK. Warum das so ist, ist noch nicht ganz klar. Es handelt sich wohl um einen weiteren verworrenen Handlungsstrang, der einer Netflix-Serie alle Ehre machen würde.
Die Befürchtung war jedenfalls: mehr ACE2 gleich mehr Eintrittspforten für das Virus gleich schlimmere Infektion. Aber so einfach ist das nicht, es könnte sogar umgekehrt sein. Wenn das Virus an ACE2 angedockt hat, wird es ins Innere der Zelle geschleust, der ACE2-Rezeptor verschwindet mit ihm. Aus einer der früheren Folgen wissen wir, dass das Verschwinden von ACE2 die Handlung dramatisiert – Angiotensin II hat dann keinen Gegenspieler mehr, der ihn unschädlich machen könnte und wütet ungestört mit hohem Blutdruck und Entzündungen.
Vielleicht gehören die ACE-Hemmer ja doch zu den Guten? Und welche Rolle spielen eigentlich die AT1-Rezeptor-Antagonisten? Wie bei jeder spannenden Serie, wissen wir das erst ganz am Ende.
Fortsetzung folgt
Illustrationen: Elisabeth Greger